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Giro d´Italia – Italien, ein Radfahrerland?

Verglichen mit Deutschland ist Italien nicht gerade das Land der Radwege. Es gibt sie zwar, die brauchbaren Fernwanderrouten, auch in einigen Städten wird fleißig geradelt, Kinder müssen Helme tragen, auf dunklen Landstraßen und tunnelreichen norditalienischen Strecken müssen sogar Warnwesten angezogen werden … Das klingt eindeutig nach Radfahrerland. Italien hat berühmte Fahrradschmieden, Radfahrställe, Radfahrlegenden und doch ist das Land, was die Nutzung von Fahrrädern und ihre Tolerierung im Straßenverkehr angeht, das genaue Gegenteil von Holland.

Aber wie soll man das Land Enrico Totis sonst bezeichnen, des einbeinigen Römers, der mit dem Rad durch ganz Europa und bis nach Ostafrika radelte, sogar an die Front fuhr, als man ihn im ersten Weltkrieg nicht einziehen mochte und dort als Kämpfer sein Leben ließ? Radfahrernation, natürlich. Die Entscheidung fällt spätestens beim Blick auf die großen Rennen, die seit vielen Jahrzehnten Italien in den Bann ziehen und von denen der Giro d´Italia das größte, längste, schönste ist – und das zweitwichtigste nach der Tour de France. Das wiederum halten viele italienische Radsportfans für diskussionswürdig.

Der Giro ist aber bewiesenermaßen von der Tour inspiriert und wenn er nicht selten die brutaleren Folgen von Bergankünften, die härteren Streckenverläufe und die geschundeneren Triumphatoren aufweist, bleibt die Tour de France die Mutter aller Rundfahrten. Auch der um Italien.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde die große italienische Sportzeitung Gazzetta dello Sport gegründet, gleich in den ersten Jahren trugen sich Herausgeber und Redakteure in die Sportgeschichtsbücher ein, indem sie die Lombardei-Rundfahrt, Mailand-Sanremo und 1909 den Giro d´Italia ins Leben riefen. Damit erklärt sich auch, warum das gelbe Trikot der Tour in Italien rosa ist: es ist die Farbe der Gazzetta. Auch der Corriere della Sera, die große italienische Abendzeitung, beteiligte sich früh an der erfolgreichen Umsetzung des Giro, womit zum einen bereits in den Anfangsjahren eine sehr moderne mediale Verbreitung des Events gewährleistet war und klar sein dürfte, wo das Herz des italienischen Radsports schlägt: in Mailand.

Giro d´Italia

Giro d´Italia ©iStockphoto/P_Wei

Der Giro d´Italia hat eine Reihe unvergessener Helden hervorgebracht. Luigi Ganna war der erste gefeierte Gewinner. Das Wertungssystem wechselte gelegentlich, mal wurde über die gesamte Tour eine Teamwertung ausgefahren, einige Jahre durfte sich der Letztplatzierte mit einem schwarzen Trikot schmücken und wenn die Fahrer mal streikten, wurde eben ein großes Amateurrennen veranstaltet, Freizeitspaß der anstrengenderen Sorte. Mindestens einmal, 1924, war mit Alfonsina Strada auch eine Frau im Teilnehmerfeld.

Alfredo Binda war der erste Superstar des italienischen Radsports, zwischen 1925 und 1933 holte er sich fünf Mal den Gesamtsieg. Fausto Coppi aus dem Piemont ist bis heute einer der klangvollsten Namen des Sports, er war das Genie, das sich gegen den älteren und kaum weniger erfolgreichen Gino Bartali durchsetzte, das Genie, das 14 Jahre lang einen Fabelweltrekord auf der Bahn hielt, als erster Giro und Tour in einem Jahr gewann, das wiederholte, beim Giro selbst wie Binda fünf Mal triumphierte – und das Genie, das viel zu früh starb. Auf dem Pordoijoch in den Dolomiten ist Coppi ein Denkmal gesetzt worden.

Später holte der Belgier Eddy Merckx den Giro fünf Mal, die Tour ebenso. Der Giro d´Italia hat über die härtesten Steigungen geführt, mit ihr sind unglaubliche Geschichten geschrieben worden und während sie läuft, schauen mehr als 10 Millionen Menschen live zu – das heißt, sie stehen an der Straße. Natürlich ist Italien ein Radfahrerland.

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